(Auszug aus meinem Easy Reader)
„Da!“
Das sind keine Häuser. Das sind Baracken. Vielleicht zwanzig. Ich kann sie
nicht zählen. Um die Baracken ein Stacheldraht. Links ein Tor. Da stehen zwei
Soldaten.
„Denkst du, ich kann hinein?“
„Lieber nicht.“
„Aber ich will mit Elsa sprechen!“
„Tu, was du nicht lassen kannst!“
Ich gehe zum Tor.
„Heil Hitler!“ rufe ich.
„Heil!“ rufen die Soldaten … es sind keine Soldaten. Die sind in von der SS.
Komplett in schwarz.
Aber ich versuche es: „Ich möchte mit Elsa Brandmeyer sprechen.“
„Papiere!“
Ich gebe ihnen meinen Ausweis.
„Komm mit!“ sagt einer der Männer. Er macht das Tor auf und bringt mich zu
einer Baracke.
In einem Büro sitzt ein Mann. Auch in schwarz.
„Heil Hitler!“ ruft der Soldat. „Der Junge hier will eine Elsa Brandmeyer
besuchen!“
„Ach, ach“, sagt der Mann am Tisch. „Zigeunerliebe, wie?“ Er lacht. Dann
geht er an einen Karteikasten.
„Brandmeyer … B … Bra … Brandmann …
Brandmutz … Brandmeyer haben wir nicht!“
„Sie heißt Elsa, sie ist vierzehn Jahre alt und kommt aus Mönchengladbach,
Korschenbroicher Straße 34.“
Jetzt öffnet er einen andren Karteikasten, sucht ein bisschen: „Da! Elsa Zigan,
haha! Haus 15 N. Herbringen!“ sagt er zum Soldaten. Dann zu mir: „Du
wartest hier.“
Fünf Minuten später kommt der Soldat mit Elsa. Sie ist mager und sehr blass.
Der Mann geht mit dem Soldaten aus dem Büro. „Ich gebe euch eine halbe
Stunde“, sagt er.
Wir sind allein, Elsa und ich.
Ich nehme ihre Hand, aber sie will nicht.
„Ich bin eine Zigeunerin!“ sagt sie.
„Bist du nicht!“
Sie sagt nichts.
Ich korrigiere: „Auch als Zigeunerin bist du meine Freundin Elsa!“
Jetzt nimmt sie meine Hand.
„Was liest du im Moment?“
„Noch einmal die Ilias“, anworte ich. „Lobe jetzt nicht den Tod, Odysseus!
Lieber möchte ich als Bauer ...“
„ …auf dem Feld arbeiten, als König all dieser Toten sein!“
„Ja, so viele Tote! So viel Tod. In ganz Europa, in Nordafrika. Und wer weiß
...“
Sie sagt nichts mehr.
„Es ist keine schöne Zeit, Elsa. In zwei oder drei Jahren wird alles wieder
besser!“
„Und wir gehen im Volksgarten spazieren und lesen ...“
„Noch einmal die Odyssee!“
Sie sieht mich an. „Kann sein, Hans.“
Dann sprechen wir über ihr Leben im Lager.
Eine halbe Stunde ist schnell vorbei. Der Mann kommt wieder ins Büro.
Elsa sagt zu mir: „Danke für deinen Besuch, Hans. Aber bitte komm nicht
mehr ...“. Sie gibt mir einen Kuss. Dann geht sie schnell weg.
„Ja, mein Junge! Intelligentes Mädchen. Da hat sie Recht. Du kommst besser
nicht mehr“.
Dann spricht er leise weiter: „Du siehst es doch auch: es ist keine gute Zeit!
Und jetzt geh!“
Zigeuner: heute sagen wir Sinti und Roma.